Wieso Frühe Hilfen?
Es gibt reichhaltige Evidenz dafür, dass in der (frühen) Kindheit eine wichtige Basis für den späteren Gesundheitszustand und das Wohlbefinden als Erwachsene:r gelegt wird: Gesundheitliche Belastungen im Kindesalter werden oft erst im Erwachsenenalter krankheitswirksam, und in der Kindheit werden Weichen bezüglich Lebenslage, Lebenskompetenzen und Verhalten gestellt (= Gesundheitsdeterminanten), die die Gesundheit im Erwachsenenalter maßgeblich und nachhaltig beeinflussen.
Die Lebenslaufforschung (life course approach) belegt insbesondere einen starken Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status in der Kindheit (Bildung, Einkommen etc.) und dem Gesundheitszustand im Erwachsenenalter, und zwar unabhängig vom späteren sozialen Status (Dragano/Lampert/Siegrist 2009). Ausreichend Unterstützung und Förderung in der frühen Kindheit können Lebensqualität, sozioökonomische Lage und Gesundheit bis weit ins Erwachsenenleben positiv beeinflussen.
Maßnahmen in der frühen Kindheit haben damit großes Potenzial in Hinblick auf die Reduktion gesundheitlicher Ungleichheiten. Untersuchungen belegen beispielsweise deutliche Effekte der sozialen und ökonomischen Belastungsfaktoren sowohl auf die langfristige kognitive, sozioemotionale Entwicklung von Kindern als auch auf ihre unmittelbare Gefährdung. Frühe Hilfen zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitschancen von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern, und leisten damit einen relevanten Beitrag zu sozialer und gesundheitlicher Chancengerechtigkeit.
Eine deutsche Überblicksarbeit zu Interventions- und Präventionsmaßnahmen im Bereich Frühe Hilfen, die im Auftrag des deutschen Nationalen Zentrums Frühe Hilfen durchgeführt wurde, kommt zum Schluss, dass entsprechende Ansätze einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Lebensqualität und Gesundheit der Kinder und ihrer Familien leisten (Lengning & Zimmermann 2009).
Auch aus Sicht der neurobiologischen Forschung (vgl. Bauer 2004) ist die frühe Kindheit von zentraler Bedeutung für lebenslange Gesundheit/Lebensqualität.
Das gilt besonders in Hinblick auf
» die Stressreaktion (Cortisol-Ausschüttung):
Anwesenheit und Fürsorge der Mutter oder einer anderen konstanten Bezugsperson ist das beste „Beruhigungsmittel“ der Stressachse, die Sicherheit der Bindung hat einen entscheidenden – und lebenslangen - Einfluss auf die Stressreaktion;
» erhöhtes Depressionsrisiko:
schwere Gefährdungen der maßgeblichen, sie beschützenden Beziehungen werden von Kindern abgespeichert, auch wenn sie nicht erinnert werden;
» (chronische) Schmerzen:
Frühe Schmerzerfahrungen werden gespeichert und bei seelischer Belastung wieder aktiviert;
» psychische Erkrankungen, Sucht und selbstschädigendes Verhalten:
häufiger bei Menschen mit kindlicher Traumaerfahrung (auch wenn es sich um Gewalt gegen Dritte handelt).